Unterdessen kehrte William Burns, Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, Medienberichten zufolge nach Kairo zu den Vermittlungsgesprächen zurück, nachdem er in Israel mit Regierungschef Benjamin Netanjahu über den Stand der Verhandlungen über eine Feuerpause gesprochen hatte. Die Verhandlungen, bei denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln, sollen in der ägyptischen Hauptstadt fortgesetzt werden, wie der arabische Fernsehsender Al-Dschasira berichtete. Ziel der Gespräche ist es, die Freilassung von Geiseln in der Gewalt der Hamas im Austausch für palästinensische Häftlinge in israelischen Gefängnissen zu erzielen. Burns reist zwischen den verschiedenen Verhandlungsorten hin und her, um dabei Fortschritte zu erreichen.
Die einzige Möglichkeit, die Verhandlungen fortzusetzen, bestehe derzeit darin, weiter anzugreifen, zitierte die Zeitung einen ehemaligen Leiter des Nationalen Sicherheitsrates in Israel. "Das ist unsere Art, sie dazu zu bringen, dass sie es ernst nehmen." Die Hamas warf dagegen Israel vor, die Verhandlungen als Vorwand für einen Einmarsch in Rafah zu nutzen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu versuche "Ausreden zu erfinden, um Verhandlungen zu vermeiden und die Schuld auf die Hamas und die Vermittler zu schieben", so Izzat al-Rischk, Mitglied des Hamas-Politbüros, in einer Stellungnahme auf Telegram.
Biden: Invasion in Rafah wäre falsch
Der Einsatz in Rafah zielt nach Angaben Netanjahus darauf ab, die verbliebenen Geiseln zu befreien und die letzten Bataillone der Hamas in der Stadt zu zerschlagen. US-Präsident Biden machte im CNN-Interview deutlich, das israelische Militär sei noch "nicht in die Bevölkerungszentren vorgerückt - was sie getan haben, ist direkt an der Grenze".
Er habe Netanjahu und dessen Kriegskabinett klargemacht, dass sie nicht mit US-Unterstützung rechnen könnten, "wenn sie tatsächlich in diese Bevölkerungszentren gehen". Es sei "einfach falsch" - und die USA könnten dafür nicht die Waffen und Artillerie bereitstellen. Nach Aussagen der Vereinten Nationen halten sich gegenwärtig insgesamt 1,2 Millionen Menschen in Rafah auf, mehr als die Hälfte der gesamten Bevölkerung Gazas.
Auch Deutschland hat Israel wegen der vielen Zivilisten in Rafah immer wieder vor einem Einmarsch in der Stadt gewarnt. Das "Wall Street Journal" zitierte derweil Analysten, wonach Israel Armee in verschiedenen Teilen der Stadt in Wellen angreifen könnte. Die jeweils betroffenen Zivilisten sollten sich zuvor in Sicherheit bringen.
Seit dem Vorrücken der israelischen Armee in Rafah Anfang der Woche sind nach UN-Angaben rund 80.000 Menschen aus der Stadt geflohen. Die Menschen seien nirgendwo sicher, mahnte das UN-Hilfswerk für Palästinenser auf X, ehemals Twitter. Die Belastung für die Betroffenen sei unerträglich.
Am Montag hatte Israel etwa 100.000 Palästinenser aufgefordert, den östlichen Teil Rafahs aus Sicherheitsgründen zu verlassen. Die Bewohner sollten sich in das Gebiet Al-Mawasi nahe der Küste begeben, ihre Versorgung mit Nahrungsmittel, Wasser und Medikamenten könne dort gewährleistet werden.
UN: Bislang keine Hilfsgüter über Grenzübergang Kerem Schalom
Der Grenzübergang Rafah bleibt indes weiter geschlossen. Zusammen mit Kerem Schalom ist er das Hauptnadelöhr für Hilfslieferungen in den südlichen Gazastreifen. Trotz der israelischen Ankündigung zur Öffnung von Kerem Schalom wurden nach Angaben der Vereinten Nationen keine Hilfsgüter in den Gazastreifen geliefert. Dies sagte Sprecher Stéphane Dujarric in New York.
Er ging auf Fragen, was die Lieferungen aufhalte, nicht im Detail ein. Auch über den Grenzübergang Rafah sei keine Hilfe in den Gazastreifen gekommen, wo vor allem Treibstoff dringend benötigt wird. Kerem Schalom war nach mehrtägiger Schließung gerade erst wieder geöffnet worden. Israel hatte ihn am Sonntag nach einem Raketenangriff der Hamas, bei dem vier israelische Soldaten getötet worden waren, für humanitäre Transporte geschlossen.
Geburtsklinik in Rafah stoppt Aufnahme von Patientinnen
Hilfsorganisationen haben die Sorge geäußert, dass der israelische Militäreinsatz in Rafah sowie die Sperrung des dortigen Grenzübergangs nach Ägypten die Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen weiter verschlechtern könnten. Seit Monaten werfen sie Israel vor, zu wenige Hilfslieferungen in das umkämpfte Gebiet zu lassen.
Die wichtigste Geburtsklinik in Rafah stoppte nun die Aufnahme neuer Patientinnen, wie die Verwaltung des Emirati-Krankenhauses der dpa telefonisch bestätigte. Als Gründe wurden die fortwährenden Angriffe der israelischen Armee auf die Hamas in der Stadt und die Treibstoffknappheit genannt.
Libanon: Mehrere Tote bei israelischen Angriffen im Süden
Bei einem israelischen Angriff im Südlibanon wurden libanesischen Angaben zufolge mehrere Menschen getötet. Der libanesische Zivilschutz teilte mit, dass es bei dem Angriff auf ein Auto in dem Ort Baflieh im Süden des Landes vier Tote gegeben habe. Die Hisbollah meldete den Tod drei ihrer Mitglieder. Für gewöhnlich führt die Miliz nicht weiter aus, wann, wo und wie ihre Kämpfer ums Leben kommen.
Das israelische Militär wollte den Vorfall auf Nachfrage nicht kommentieren. Die Armee teilte allerdings mit, dass ein 20-jähriger Soldat bei "Aktionen im Norden Israels" am Vortag getötet wurde.
Israel soll proiranische Ziele nahe Damaskus angegriffen haben
Israel griff unterdessen nach Angaben von Aktivisten und syrischen Staatsmedien in der Nacht erneut Ziele in Syrien an. Die in Großbritannien ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit, dass dabei ein Zentrum und ein Trainingscamp einer proiranischen Miliz aus dem Irak getroffen worden seien. Der Angriff ereignete sich demnach südlich der Hauptstadt Damaskus.
Es soll weitere Explosionen in einem Ort weiter südlich gegeben haben. Auch die syrische Nachrichtenagentur Sana berichtete unter Berufung auf Militärkreise von den Luftangriffen. Demnach seien einige der "feindlichen Raketen" abgefangen worden. Das israelische Militär wollte die Berichte auf Nachfrage nicht kommentieren.
US-Frachter mit Hilfsgütern auf dem Weg von Zypern nach Gaza
Ein Frachter mit Hunderten Tonnen Hilfsgütern für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen ist aus dem zyprischen Hafen von Larnaka ausgelaufen. Wie der zyprische Regierungssprecher Giannis Antoniou im Rundfunk sagte, transportiere der Frachter "Sagamore" dringend benötigte Hilfsgüter aus den USA, Großbritannien und Zypern und werde bald in Gaza eintreffen. "Bis der Frachter (in Gaza) ankommt, wird auch der Pier, den die USA bauen, fertig sein", fügte er hinzu.
Das Heer der USA hatte in den vergangenen Tagen ein großes, schwimmendes Dock vor der Küste des Gazastreifens für die Lieferung von Hilfsgütern gebaut. Am Donnerstag sollte die Anlegestelle komplett fertig sein und künftig als Drehscheibe für die Lieferung von Hilfsgütern dienen. In Gaza gab es bislang keinen Hafen, der tief genug für größere Frachtschiffe ist.